Vortrag: Gemeinden in der Krise und worauf es jetzt ankommt

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05. Oktober 2016

Prof. Dr. Herbert Haslinger bei seinem Vortrag im Stiftssaal von St. Margareta (Foto: A. Fröhling)

Auf das schwindende Interesse an der Kirche, auf die sinkende Zahl von Gemeindebesuchern reagieren die Bistümer in Deutschland mit pastoralen Aktivierungsprogrammen, mit Forderungen nach Engagement in der Gemeinde und nicht zuletzt mit Schaffung von Großgemeinden zur Bündelung der Kräfte – und verschärfen damit die Krise in den Gemeinden. Diesen Schluss zieht Professor Dr. Herbert Haslinger von der Theologischen Fakultät Paderborn aus seinen Untersuchungen. „Denn Gemeinde ist nicht deckungsgleich mit Kirche“, so Haslinger. …

„Diese ist umfassender, zu ihr gehören auch die Menschen, die unregelmäßig zu Gottesdiensten und Veranstaltungen kommen“, erklärte der Pastoraltheologe in seinem Vortag auf Einladung der Bürgerstiftung Gerricus, der Kirchengemeinde St. Margareta und des ASG-Bildungsforums.

Wenn eine Gemeinde sich hauptsächlich damit beschäftige, Menschen zur Mitarbeit zu bewegen, verliere sie den Blick auf die alltäglichen Lebenssituationen in Beruf, Ehe, Kindererziehung oder Betreuung alter Menschen. Sie schotte sich damit gegenüber der Gesellschaft ab. Kirche und Welt würden so wieder zu einem Gegensatz, ist Haslinger überzeugt. Er sieht die Gefahr, dass nur noch derjenige als Mitglied der Gemeinde gesehen würde, der sich in ihr engagiere und von der Gemeindeleitung vorgegebene Ziele erfülle. „Damit werden aber viele Menschen abgeschreckt, vor allem diejenigen, die nicht aktiv sein können oder wollen wegen vieler anderer Aufgaben im persönlichen Alltag.“ Meist brauchten aber gerade diejenigen seelsorgerische Betreuung.

Prof. Dr. Herbert Haslinger und Angelika Fröhling, Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung Gerricus (Foto: Michael Brockerhoff)

Tante-Emma-Läden statt Supermärkten

Der Pastoraltheologe sieht daher als Weg aus der Krise die Stärkung und Besinnung auf die Seelsorge mit vielen persönlichen Gesprächen und Besuchen. Das sei aber in den angestrebten Großgemeinden kaum möglich, meint Haslinger und vergleicht die Entwicklung von kleiner zu großer Pfarre mit dem Einzelhandel: „Die Tante-Emma-Läden sind Supermärkten gewichen. Die bieten zwar ein umfangreiches, funktionales, qualitativ gutes Angebot, aber die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch auch über Dinge außerhalb der Versorgung wie im Tante-Emma-Laden ist nicht mehr möglich.“ Solche zwanglosen Begegnungen seien aber der Resonanzraum für Theologie, sie zeigten, wo Seelsorge nötig ist. Es sei fatal, wenn in einer Großgemeinde wegen der vielen funktionalen Angebote die eigentliche Seelsorge keinen Platz mehr habe und Menschen nicht mehr wahrgenommen würden.

Dem Einzelnen helfen

Haslinger plädiert deshalb für Gemeinden mit etwa 3.500 Mitgliedern mit einem Seelsorger als Ansprechpartner. Für einen solchen Zuschnitt gebe es genügend Seelsorger. Mit Gemeinden dieser Größe, die einem Ort oder einem Stadtviertel zugeordnet sind, könne Kirche am besten auf die Vielfalt des Lebens eingehen. „Die Menschen müssen auf ihren verschiedenen Lebenswegen gestützt werden“, sagte der Pastoraltheologe. Die individuellen Erfahrungen der einzelnen seien für Gemeinde und Seelsorger positiv. Und der unregelmäßige Besuch der Gemeindemitglieder müsse akzeptiert werden. Eine Gemeinde müsse sich in erster Linie nicht darum kümmern, Mitarbeiter zu gewinnen, sondern darum, wie sie dem Einzelnen helfen könne.

Im Anschluss an den Vortrag von Professor Haslinger stellte das Publikum viele Fragen und es kam zu einer lebhaften Diskussion.